Unsichtbare Barrieren: Die Herausforderung von armutsbetroffenen Kindern im Bildungssystem

Kinderarmut und Inklusion

Inklusion betrifft als zentrales Ziel für eine gerechte Gesellschaft mehr Personen und Lebensrealitäten, als wir oft denken. So sind auch von Armut betroffene Kinder auf ein inklusives (Schul-)Umfeld angewiesen. Nur so können möglichst gleiche Entwicklungs- und Bildungschancen gewährleistet werden, trotz Kinderarmut.

Definition und Bedeutung

Doch was bedeutet Armut eigentlich?

“Armut oder soziale Ausgrenzung (AROPE) sind bei EU-SILC gemäß EU-Definition dann gegeben, wenn eines oder mehrere der drei Kriterien „Armuts­gefährdung“, „erhebliche materielle und soziale Entbehrung“, „Haushalt mit sehr geringer Erwerbs­beteiligung“ vorliegen.” (Statistisches Bundesamt, seit 2020).

Ursachen von Kinderarmut – Wieso sind Kinder arm?

Es gibt verschiedene Ursachen für Armut. Klar ist: Kinder sind arm, wenn ihre Eltern es sind.

Alleinerziehende

Alleinerziehende scheinen besonders von Armut gefährdet zu sein:

43 % der Alleinerziehenden sind arm  (Bertelsmann Stiftung, Juni 2021).

Neben einer hohen finanziellen Last sind  Alleinerziehende oft auch stark emotional belastet, wenn sie gleichzeitig arbeiten und Care-Arbeit leisten müssen. Dabei kann die eigene Gesundheit zu kurz kommen, was wiederum einen Einfluss auf die Kinder haben kann. Der Alltag muss gut strukturiert sein, damit Zeit für Arbeit, Hausaufgaben, Haushalt, Schlaf, Einkauf, Papierarbeit und Arzttermine bleibt. Dabei kommt die Freizeit oft zu kurz. An eigene Hobbys, Urlaub oder Ähnliches ist da nicht zu denken.

Migrationshintergrund

Ein Migrationshintergrund kann der Grund für Armut sein, wenn Ausbildungen aus anderen Ländern in Deutschland nicht anerkannt werden oder eine Sprachbarriere besteht, was die Jobsuche und Antragstellung erschwert.

Auch Kinder können unter ihrer Sprachbarriere leiden, da dadurch bereits bei Schulbeginn Schwierigkeiten entstehen und der Schulstoff so nicht richtig verinnerlicht werden kann.

Weitere Gründe für Armut können eine Behinderung, ein Pflegegrad, das Alter, Geschlecht etc. sein.

Herausforderungen für sozioökonomisch benachteiligte Kinder

Doch was bedeutet Armut konkret für die betroffenen Kinder?

In Deutschland ist jedes fünfte Kind armutsbetroffen (vgl. BMFSFJ, o.D.).  Arm zu sein, wirkt sich auf verschiedene Lebensbereiche aus. Es fehlt Geld für eine gesunde, ausgewogene Ernährung, Förderungen, Freizeitaktivitäten, genügend Wohnraum etc. All diese Probleme wirken sich negativ auf den Schulalltag der Kinder aus.

Um nur einen kleinen Einblick in mögliche Folgen zu geben, hier eine, in der Realität viel längere, Liste möglicher Folgen:

  • Ein fehlendes Mittagessen kann zu einer schlechten Konzentration führen.
  • Enger Wohnraum führt dazu, dass Kinder keinen Rückzugsort haben, was zur Ermüdung führen kann.
  • Jugendliche wollen früh ihr eigenes Geld verdienen, wodurch ihnen die Kraft und Zeit für schulische Aufgaben fehlt.
  • Das Fehlen , außerschulischer Förderungen führt dazu, dass Schüler:innen bei Verständnisproblemen im Unterricht hinterherhinken und deshalb unter Druck stehen.
  • Ein Schamgefühl kann zu einer hohen emotionalen Last führen. Verzweiflung, Trauer und andere Gefühle zur Situation werden unterdrückt und erst recht nicht mit Außenstehenden besprochen.

Die Kindergrundsicherung

Seit einiger Zeit wird nun über eine Kindergrundsicherung diskutiert. Die Idee: Eine Vereinfachung des aktuellen Systems, indem Fördergelder, die von verschiedenen Behörden stammen, zusammengeführt und sogar erweitert werden. Familien mit geringem Einkommen sollen mehr Geld erhalten als solche mit höherem Einkommen. Der Verwaltungsaufwand solle sich dadurch verringern, da nur noch ein einziger Antrag gestellt werden müsse. Jedoch gibt es auch Gegenstimmen, die an einer effizienten Umsetzung zweifeln und befürchten, dass der bürokratische Aufwand höher werden könnte als erwartet.

Momentan nutzen einige Menschen nicht die Mittel, auf die sie Anspruch haben. Das kann daran liegen, dass sie sich dessen überhaupt nicht bewusst sind. Für andere ist der bürokratische Aufwand eine Hürde, die sie nicht überwinden können. Eine adäquate Umsetzung der Kindergrundsicherung könnte dazu führen, dass Personen sich ihrer Ansprüche bewusst werden, da sie – in der Vision – darüber informiert werden würden.

Wichtigkeit der Inklusion im Zusammenhang mit Kinderarmut

Inklusion findet in der heutigen Zeit immer mehr einen Platz in der Gesellschaft und wird an immer mehr Stellen eingefordert. Umgesetzt ist sie ein wirksames Mittel gegen akute Probleme. Inklusion bedeutet, jede:n mit einzubeziehen. Dabei darf niemand vergessen werden. Es muss ein Bewusstsein dafür entstehen, wer welche Unterstützung benötigt und was jede:r Einzelne dafür tun kann.

Chancengleichheit

“Kinder aus der Arbeiterschicht müssen wahre „Überflieger“ sein, um am Ende der Grundschulzeit von ihrer Lehrerin oder ihrem Lehrer eine Gymnasial-Empfehlung zu bekommen, während Kindern aus der Oberschicht sogar unterdurchschnittliche Leistungen reichen“…“, so Demmer in ihrem Text: “1920-2020. Schulreform in Deutschland. Eine (un)endliche Geschichte?!”

Chancengleichheit soll dafür sorgen, dass jedes Kind, unabhängig von seinem sozioökonomischen Hintergrund, die gleichen Lernmöglichkeiten hat. Armut ist dabei ein Hindernis, welches es aktiv zu überwinden gilt.

Soziale Teilhabe

Der Schulalltag besteht zu einem großen Teil aus sozialen Beziehungen und Interaktionen. Es kann für Kinder belastend sein, wenn sie sich die Klassenfahrt, die Kugel Eis nach der Schule oder die Brezel vom Kiosk nicht leisten können. Aktivitäten, an denen alle Schüler:innen teilnehmen können, sind deshalb so wichtig, damit von Armut betroffene Kinder sich  nicht ausgegrenzt fühlen müssen.

Zukunftschancen

Eine gute Bildung ebnet einigen Schüler:innen den Weg für eine bessere Zukunft. Eine inklusive Bildung ermöglicht es Kindern, ihr volles Potenzial auszuschöpfen und ihre finanzielle Situation so langfristig zu verbessern.

Was muss sich in Schulen ändern?

Bildung findet vor allem in Schulen statt. Lehrkräfte haben einen großen Einfluss auf das Leben ihrer Schüler:innen. Deshalb brauchen sie ein Bewusstsein für die Lebensrealität ihrer Schüler:innen und möglichen Problemen, wie Kinderarmut. Dafür kann Informationsmaterial an sie herangetragen werden, welches sie an ihre Schüler:innen verteilen könnten. So entsteht auch bei Nicht-Betroffenen ein Bewusstsein, was zur Enttabuisierung beitragen würde. Schulen müssten personell und materiell ausgestattet werden, um einer Chancengleichheit näher zu kommen. So könnten in der Schule Förder-, Bewegungs- und musikalische Angebote auch für die Kinder möglich gemacht werden, die diese Möglichkeiten sonst nicht hätten. Ganztagsschulen könnten, richtig ausgestattet, einen Alltag bieten, der neben dem reinen Unterricht auch aus einer ausgewogenen Mahlzeit, einer Hausaufgabenbetreuung und dem Angebot  von Hobbys besteht. Den einzelnen Lehrkräften sollte dafür nicht noch mehr aufgebürdet werden. Um das zu gewährleisten, bräuchte es multiprofessionelle Teams, die groß genug sind, sodass sie sich wirklich auf die Bedürfnisse der Schüler:innen einstellen können.

Was können wir tun?

Sich über politische Entscheidungen zu beschweren, ist leicht. Doch was können wir wirklich machen, um die Inklusion von Armutsbetroffenen, v.a. im Bildungssystem voranzutreiben? 

Mitwirken

Wir müssen Teil des politischen Diskurses werden. Wenn Politiker:innen sich des Themas nicht annehmen, müssen Wissenschaftler:innen, Sozialarbeitende und wir, denen Kinderarmut am Herzen liegt, in die Diskussion einsteigen und immer wieder darauf aufmerksam machen. Die Fakten liegen auf dem Tisch, müssen aber immer wieder in das Gedächtnis der Leute gerufen werden, damit niemand wegschauen kann. 

Zuhören

Wir müssen in den Austausch mit Betroffenen treten, um zu verstehen, was sie brauchen und fordern und wie ihre Lebensrealität aussieht.

Vorurteilsfreies Denken

Armutsbetroffene werden mit Klischees konfrontiert, die oft nichts mit der Realität zu tun haben. Wir sollten versuchen, uns davon zu lösen und Betroffenen ohne Vorurteile zu begegnen. So schließen wir niemanden aus und vermitteln nicht das Gefühl, dass Armut etwas ist, wofür man sich schämen muss.

Unter diesem Beitrag verlinken wir verschiedene Seiten, auf denen ihr helfen könnt.

Abschließende Worte

Was sich so klar anhört, muss in das Bewusstsein der Leute: Auch arme Leute haben ein Recht auf Bildung. Das reine Überleben zu sichern, reicht nicht aus. Gerade für unsere Kinder gibt es so viel mehr zu entdecken. Bildung macht nicht zwingend frei von Armut, bietet aber den Grundstein für ein besseres Leben. Das Thema muss besprochen werden, damit sich etwas ändern kann. Wir müssen denen, um die es geht, eine Stimme geben, um zu verstehen, was gefordert wird. Alle angesprochenen Themen können noch weiter ausgeführt werden und wurden nicht vollständig diskutiert.

Dieser Artikel soll einen Überblick über die aktuelle Situation in der deutschen Bildungspolitik geben. Wenn euch zu dem Thema noch mehr einfällt, kommt gern mit uns in den Austausch: Instagram & Facebook

 

Weitere Blogartikel:

https://www.inklusion-digital.de/belastendes-schulsystem-fuer-paedagoginnen-die-gemeinschaftsschule-als-loesungsansatz/

https://www.inklusion-digital.de/rassismuskritik-im-bildungssystem-was-es-fuer-eine-diversitaetssensible-paedagogik-braucht/

 

Hier kannst du helfen:

Johanniter

Tafel

DRK

Hilfe für Betroffene:

Deutsches Kinderhilfswerk

DRK

Familienportal

Staatliche Leistungen für Familien (Familienportal)

Quellen

Bertelsmann Stiftung. (Juni 2021.) Trotz Armut abgehängt: Armutsrisiko von Alleinerziehenden verharrt auf hohem Niveau. Abgerufen am 6. November 2023

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (o.D.). Die neue Kindergrundsicherung – eine Leistung für alle Kinder. Abgerufen am 8. November 2023

Demmer, M. (2021). 1920-2020 Schulreform in Deutschland. Eine (un)endliche Geschichte?! 7, 124.

Statistisches Bundesamt. Armut oder soziale Ausgrenzung. Abgerufen am 15. November 2023

Statistisches Bundesamt. (16. Mai 2023). 15 % der Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren sind Väter. Abgerufen am 6. November 2023

Weiterführende Quellen:

https://www.sueddeutsche.de/politik/kindergrundsicherung-lisa-paus-familienministerin-1.6302273

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/kindergrundsicherung-geld-gesetz-paus-familienservice-kritik-100.html

https://www.zdf.de/rbb/wir-muessen-reden/page-video-ard-kinderarmut—einmal-arm-immer-arm-100.html

https://www.gew.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=106804&token=0e9aa918d55da8500380e7bcf56432e42565e15f&sdownload=&n=7-Schriftenreihe-Eine-fuer-alle-Nr.7-Marianne-Demmer.pdf.pdf

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/familienleistungen/kindergrundsicherung

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