Traumapädagogik: Umgang mit traumatisierten Kindern in der Schule

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns alle. So nah war uns der Krieg lange nicht mehr und die so unmittelbare Gefahr vielleicht selbst betroffen zu sein, ist im deutschsprachigen Raum noch länger her. Ganz konkret sind jetzt gerade Ukrainer:innen betroffen und viele Menschen sind zur Flucht gezwungen.

Immer mehr Kinder kommen auch bei uns im Bildungssystem an. Aber wie können wir Kindern, die dem Schrecken des Krieges vielleicht schon sehr nah waren, gerecht werden? Ist das Kind, dass in meine Klasse kommt vielleicht traumatisiert? Was benötigen Kinder mit einer Traumatisierung? Wie können sie im Umgang und in der Bewältigung ihrer schwierigen Lebenserfahrungen in der Schule unterstützt und begleitet werden und wie kann die Lebenskraft wieder geweckt und gefördert werden? Mit diesen Fragen befasst sich die Traumapädagogik.

Im Jahr 2021 lag die Zahl der Flüchtenden laut der UNO Flüchtlingshilfe Deutschland bei 84 Millionen. Angesichts der aktuellen Ereignisse kann man davon ausgehen, dass diese Zahl immer weiter ansteigen wird. Die Ursachen für Flucht sind vielfältig: Es entstehen mehr und mehr humanitäre Krisen und Menschen sind gezwungen, ihre vertraute Umgebung und ihr Hab und Gut im Ungewissen zurückzulassen. Sie sind auf der Flucht, mussten lebensbedrohliche Gefahren überstehen und haben zutiefst verstörende Erfahrungen gemacht. Um den Umgang mit traumatisierten Kindern an deutschen Schulen zu erleichtern, hat das Team von Inklusion Digital eine vom Universitätsklinikum Ulm entwickelte Traumadiagnostik für die SPLINT App übernommen, die Pädagog:innen im Umgang mit traumatisierten Kindern unterstützt.

In diesem Beitrag möchten wir uns dem Thema Flucht und Trauma im pädagogischen Kontext widmen. Es wird veranschaulicht,  welchen Ansatz die Traumapädagogik verfolgt und wie man traumatisierte Menschen erkennen kann. Fragen wie ,,Was ist Traumapädagogik eigentlich und wie kann ein traumasensibler Unterricht gestaltet werden?’’ sowie ,,Wie kann man traumatisierte Menschen erkennen?’’ wird dabei nachgegangen. Zudem stellen wir klar, dass es bei der Traumapädagogik vielmehr um das Gestalten eines traumasensiblen Unterrichts und um den Umgang mit traumatisierten Kindern geht, als um das konstatieren einer klinischen Diagnostik.

Was ist Traumapädagogik überhaupt?

In der Traumapädagogik geht es neben Methoden und pädagogischen Instrumenten auch um grundsätzliche Aspekte des Zusammenlebens wie zum Beispiel die Haltung oder die Bedürfnisse vom Umfeld und von den betroffenen Personen. Aus ganzheitlicher Sichtweise wird die Pädagogik als wirkungsvolle Arbeit in der Aufarbeitung und im Umgang mit traumatischen Erfahrungen ins Zentrum gerückt. Auf die Frage ,,Was ist Traumapädagogik überhaupt?’’ muss erwähnt werden, dass die Traumapädagogik viele spezifische Ansätze und Instrumente umfasst, die für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit einer Traumatisierung entwickelt wurden. Ein Hauptziel der Traumapädagogik ist es, den Kindern und Jugendlichen neue, positive Erfahrungen zu ermöglichen, welche den traumatischen Erfahrungen entgegengesetzt werden. So kann zu einer emotionalen und sozialen Stabilisierung beigetragen werden. Grundlage ist das Erschaffen eines sicheren Ortes mit verlässlichen und vertrauensvollen Beziehungen. Dabei spielen der Aufbau von Vertrauen und die Unterstützung bei der Bewältigung von traumatischen Ereignissen eine wichtige Rolle.

Was ist ein Trauma und wie kann ein traumasensibler Unterricht aussehen?

Die Traumapädagogik ist die Pädagogik des „sicheren Ortes“. Ein traumasensibler Unterricht stärkt das Selbstvertrauen, er folgt dem Prinzip der Selbstermächtigung und ermöglicht, eigene Ressourcen zu entdecken und auszubauen. Das Selbstermächtigungs-Schema „Hilf mir, es selbst zu tun!“ spielt dabei eine übergeordnete Rolle. (Quelle)

Der Begriff Trauma kommt aus dem griechischen und bedeutet Wunde oder Verletzung. Unterschieden werden kann in physische und psychische Traumata. Ein körperliches Trauma kann beispielsweise ein geprellter Kopf, eine gebrochene Hand oder aber eine Querschnittslehmung sein. Von einem psychischen Trauma kann man dann sprechen, wenn diese Bedingungen zusammen eintreten: Ein bestimmtes Ereignis wird als Bedrohung für das eigene Leben oder das von geliebten Personen empfunden. Dieses Ereignis tritt ganz plötzlich und unerwartet ein und versetzt die Betroffenen in einen starken innerlichen Stresszustand, wobei die Gehirnfunktionen vorübergehend beeinträchtigt werden können. Ein Trauma kann entstehen, wenn sich ein Mensch in seinem Leben bedroht fühlt und starke Angst, Hilflosigkeit und Grauen erleben musste. Eine traumatisierte Person ist geschockt und im Inneren stark damit beschäftigt, das Erlebte zu verarbeiten.

Um die Schule zu einem traumasensiblen Ort zu machen, sind das Schaffen dieser drei Komponenten von großer Bedeutung: ein stabiles Umfeld, das Gefühl von Sicherheit sowie das Miteinbeziehen des Körpers und die Erarbeitung der Fähigkeit sich aus einer Situation herausnehmen zu können.

Der erste Schritt zu einem traumasensiblen Unterricht ist die positive Ausstrahlung der Lehrperson, die den Kindern das Gefühl gibt, wahrgenommen zu werden. Einfühlungsvermögen, Verlässlichkeit und Kontinuität sind wichtige Grundpfeiler für die Beziehungsarbeit zwischen den Schüler:innen und der Lehrkraft.  Wertschätzung und Akzeptanz untereinander sollten im Unterricht einen hohen Stellenwert zugeschrieben bekommen.

Dabei kann dasEinführen von Strukturen und Ritualen in den Unterricht helfen. Strukturen und Rituale geben den Kindern Sicherheit, Orientierung und Überschaubarkeit im Schultag. Um Berechenbarkeit und Entspannung im Unterricht zu integrieren, können die täglichen Rituale auch aufgeschrieben oder bildlich dargestellt werden. Mangelnde soziale Sicherheit ist Teil von Flucht und Trauma im pädagogischen Kontext und so können offene Lernformen bei traumatisierten Kindern das Gefühl von Unsicherheit hervorrufen. Der:Die Pädagog:in kann darauf achten, den betroffenen Kindern gezielt durch Anweisungen unter die Arme zu greifen.

Ein  traumasensibler Unterricht enthält idealerweise auch kreative und sportliche Elemente. Selbstakzeptanz hängt eng mit dem eigenen Körper zusammen und um sich im eigenen Körper wohl zu fühlen, ist ein gewisser Grad an Selbstwert erforderlich. Bewegungsübungen, Tanz, aber auch Entspannungstechniken und Yoga können bei der Aufarbeitung eines Traumas hilfreich sein. Kreativität in Form von Spielen oder Malen stellt einen kreativen Prozess dar und steht im Zentrum einer gesunden seelischen Entwicklung.

Wie kann man traumatisierte Menschen erkennen?

Um traumatisierte Menschen erkennen zu können, muss genau und oft über einen längeren Zeitraum hingesehen und beobachtet werden. Nur weil eine Person oder ein Kind introvertiert ist heißt es nicht automatisch, dass diese Person an einem Trauma leidet. Bei Kindern lässt sich ein Trauma oft dann erkennen, wenn ein anhaltender Verlust von Sprache entsteht, sich Konzentrationsschwäche im Unterricht bemerkbar macht oder sich das Kind wie betäubt verhält. Auch eine angespannte Körperhaltung macht sich oft durch Angst und Schreck bemerkbar. Es gilt aber, dass jede Person ein Trauma anders erlebt und verarbeitet, daher müssen die genannten Anhaltspunkte nicht auf jeden Menschen zutreffen. Mittels einer Traumadiagnostik kann Aufschluss gegeben werden, ob und wie stark ein Trauma vorliegt.

Helfen können hier umfängliche Screenings. Einige davon unterstützen dabei die Fremdbeurteilung, indem sie die Aufmerksamkeit auf die relevanten Themen lenken und Pädagog:innen, Eltern oder andere Kontaktpersonen auf Schlüsselfaktoren aufmerksam machen. Andere sind entwickelt um durch die betroffenen Personen selbst beantwortet zu werden. Fachmenschen können das Feedback der Befragung auswerten und mit den Ergebnissen arbeiten.

Traumabögen in der SPLINT App: Umgang mit traumatisierten Kindern

Neu hinzugekommen ist in SPLINT der Fragebogen für die Traumadiagnostik. Entwickelt wurde das sogenannte Ampelscreening vom Universitätsklinikum Ulm, das speziell für Flucht und Trauma im pädagogischen Kontext erstellt wurde. Entdecke hier, wie einfach du die Traumabögen in SPLINT nutzen kannst.

Ab sofort ist das Ampelscreening in SPLINT kostenfrei und für jede:n frei zugänglich abrufbar und es kann entweder von dem Pädagogen oder der Pädagogin selbst ausgefüllt oder aber an die Eltern des Kindes zum Ausfüllen weitergeleitet werden. Sprachliche Differenzen dürfen dabei natürlich keine Barrieren darstellen. Deshalb bieten wir das Ampelscreening in diesen 8 Sprachen an: Englisch, Ukrainisch, Russisch, Französisch, Farsi, Somali, Arabisch und Deutsch. Der:die Pädagog:in versendet dabei den Bogen an die Eltern. Diese können sich die Fragen in ihrer Sprache durchlesen und diese beantworten. Die Pädagog:innen in der Schule, dem Ausbildungsbetrieb oder im Kindergarten können sich den von den Eltern des Kindes ausgefüllten Ampelscreening-Bogen dann zur Auswertung wiederum im Deutschen anzeigen lassen.

Im Ampelscreening-Bogen werden individuelle sowie externe Belastungsfaktoren abgefragt. Bei kritischen Ergebnissen können Pädagog:innen traumapädagogische Maßnahmen aus einer Maßnahmenbibliothek einsehen und abwägen, welche sie umsetzen können. Das können zum einen konkrete Handlungsanweisungen der Traumapädagogik sein, die Impulse zum Umgang mit dem Kind bieten, aber auch Hilfseinrichtungen und psychologische Beratungsstellen werden vorgeschlagen. Die Anleitung zur Nutzung des Ampelscreening-Bogen in Splint findest du hier.

Welche Anlaufstellen gibt es rund um die Traumapädagogik?

Nachfolgend haben wir einige regionale, überregionale als auch internationale Anlaufstellen aufgelistet, die Hilfe bei traumatischen Erfahrungen bei Kindern und Jugendlichen anbieten.

Der Kinderschutzbund in Deutschland stellt mit 30 Standorten eine Anlaufstelle für die Beratung von Familien und Kindern dar.

Beim Kinderschutzzentrum Berlin handelt es sich um einen Verein, der sich gegen die Gefährdung des Kindeswohls richtet.

In Österreich setzt sich das Kinderschutzzentrum mit seinen 31 Anlaufstellen in allen Bundesländern verteilt für den Schutz von Minderjährigen ein.

Der Kinderschutz Schweiz macht sich als Stiftung dafür stark, dass alle Kinder im Sinne der UNO Kinderrechtskonvention in Schutz und Würde aufwachsen können.

Weitere hilfreiche Informationen vor allem für Pädagog:innen zum Thema Traumapädagogik findest du hier.

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